„Good Evening, Ms Touray. Going home?“

Ms Touray. Das bin ich. Home? Das ist oder damit ist gemeint – Touray Kunda. Der Compound der Familie Touray in Jujuba.

Ich habe Besuch von meinem Vater bekommen. Durch die Augen eines Anderen das eigene Umfeld und Leben wie neu zu erblicken, jeden inzwischen so vertrauten Menschen neu vorzustellen, mit ersten Eindrücken und Anfragen konfrontiert zu sein, das lässt einen Revue passieren, stimmt nachdenklich. Das grade bei einem Menschen, der einen doch ein paar Jährchen begleitet hat, nicht unwesentlich viel über einen weiß. Auf einmal Expertin, Fremdenführerin – nein, nicht nur zu spielen – tatsächlich zu sein. In einem doch eigentlich fremden Land? Nein – zu Hause?! Wo man doch der ’stranger’/’tubabo‘ ist? Aber dann doch von den alten Frauen ’sunkutu‘ – gambisches Mädchen gerufen wird? Und auch für die Kinder in meiner Straße bin ich längst nicht mehr die Weiße, sondern „Nana!“, mit der bei jeder sich bietenden Gelegenheit Flugzeug gespielt wird.

Morgens laufe ich los, um meinem Vater Frühstück am Shop zu besorgen, wechsle ihm das Geld bei meinem ‚Onkel‘, der für Western Union arbeitet und während Vati sich noch darüber Gedanken macht, wie wir je aus diesem vollgestopften Buschtaxi herausfinden und wie um Himmels Willen das mit der Bezahlung funktionen soll, habe ich dem Apparanti schon die perfekt abgezählten 17 Dalasi pro Person für die Strecke nach Brikama in die Hand gedrückt und ihm mit einem Wink bedeutet, dass er uns beim africell Kundencenter rausspringen lassen soll.
So viele Dinge und Plätze zu sehen! Und erst all diese Menschen, die mein Vater doch unbedingt kennenlernen muss!
Jedem alt-bekannten Menschen begegne ich mit neuem Strahlen – das ist L., ein guter Fußballcouch, das ist E., aber ich nenne ihn immer ‚my son‘, das ist ‚Mr Monkey, Mr. President, der Nachbar des dritten Hauses links von mir, die Kusine von S., meine beste Freundin, mein Laufpartner, die kleine Tochter meiner Arbeitskollegin, Sowieso – ebenfalls Volnet-Mitglied and so on..

Zwischen-Zuhause zu sein. Vertraute Gestalten. Vertraute Rymthen. Nicht nur Zuschauerin zu sein, sondern Anteil, Meinungs- und Mitgestaltungsrecht zu haben. Nicht das Touristenrecht oder -unrecht verbuchen zu können, alles unter der Exotisch-Käseglocke ausgestellt zu sehen, aber nichts zu beleuchten und nicht durch mehr als ein paar Urlaubsmomentaufnahmen locker berührt zu werden. Sondern wenn schon, dann zu echten Tränen gerührt oder zur Weißglut gebracht zu werden. Weil Gambia eben nicht (mehr) das Anderswo und Außen, sondern nur das Hier und Innendrin ist. Das Anderswo mag jetzt das eigentliche?! Zuhause sein, die Käseglocke aus der mein käsig-weißer Vater stammt, dieses Europa. Dabei muss es sich um einen ganz schön beängstigenden Ort handeln, hört man doch nur ein fernes, unverständliches und aus der Entfernung heraus erlauschtes doch viel klareres Munkeln – über Radikalisierungen, über Mord und Totschlag. Beunruhigende Entwicklungen in diesem Anderswo. Da braut sich was zusammen. Die Zeit und der Spiegel, die deutsche Besucher uns dagelassen haben, sind heiß umkämpft auf Benna Kunda. Endlich Nachrichten aus Exotien. Irgendwer stellt hysterische Fragen über Ebola. Wohl ein Exotianer. In Gambia gibt’s doch kein Ebola. Da musst Du schon nach Sierra Leone oder so. Mir fällt es schwer meinem Vater seinen Schau-und-Herausfind-Status zu lassen. Nicht alles meinungsmachend zu kommentieren, nicht die Alteingesessene raushängen zu lassen.

Ich bin viel entspannter.(“ Wir brauchen doch nicht anzurufen!, wenn wir erst ne Stunde später zum Mittagessen kommen“). Und doch viel ungeduldiger. Ich weiß, was ich schätze und was mich stört. Weiß vielleicht einfach, was ich erwarte.
Ich bin kein Freund von der green-and-creamy Kombination, in der beinahe jedes Haus gestrichen ist, ich bin kein Freund von naming oder marriage ceremonies, die immer vollkommen gleich ablaufen, wo sich nicht mal die Gerichte unterscheiden – immer Bena Chin – obwohl ich vergaß, es gibt immerhin zwei verschiedene Zubereitungsarten. Ich bin grundsätzlich kein Freund von Gleichheit und Gleichmacherei.
Natürlich, man kann sich ebenso über den westlichen, beinahe ungesunden Zwang zu Indiviualismus beklagen, der oftmals einer Egofixiertheit, einem übertriebenen Geltungsbedürfnis, dem Druck in Allem, was man macht und tut, mag und ablehnt sich von allen Anderen abheben zu müssen, beklagen. Habe ich auch schon zur Genüge getan. War traurig über all die Leute, die betulich darauf achten ihren eigenen Stil und Lebensentwurf hervorzuheben, sich ständig zu profilieren (wobei ich mich selbst nicht von solchen Zügen und Affektiertheiten freisprechen will). Alle wollen anders sein und ähneln sich darin so unwahrscheinlich. Und dennoch – ich bin ganz Kind meiner Kultur und mag den Ansatz im höheren Sinne gleich und gleichgestellt, im Tieferen verschieden, eigen und besonders zu sein. Wie oft habe ich mich beklagt, dass es in unserem deutschen Schulsystem immer noch nicht genug Raum für Diskussion gibt, dass manche Lehrer das Reden nach ihrer oder gegen ihre eigene Meinung noch immer als richtig und falsch deuten und dementsprechend bewerten.

Hier sehen meine Kämpfe anders aus. Ich versuche meine Kollegin mühsam davon zu überzeugen, dass es den Kindern meiner Klasse durchaus zuzumuten und zuzutrauen wäre, nicht im Kunstunterricht simpel an der Tafel vorgegebene Tiere abzuzeichnen, sondern darüber nachzudenken, was ihr jeweils eigenes Lieblingstier (nicht das ihres Sitznachbarn!) ist und dieses aus dem Kopf heraus zu Papier zu bringen. Und nicht nachher mit Rotstift ein ‚correct‘ darunter zu setzen. Hallo?! Kunst und korrekt?!

Und was ich mag? Das scheint viel unmöglicher und ist doch vielleicht viel einfacher auszudrücken. Ich mag es nachts den unermesslich weiten, klaren Sternenhimmel zu betrachten (Als Großstadtkind bin ich so viel Sternenhimmel nicht gewohnt und immer aufs Neue verzaubert). Orion zu suchen, das einzige Sternbild, das ich – natürlich neben dem Großen Wagen – zu erkennen imstande bin. Ich mag es bei der Frau mit dem Goldzahn nach der Schule Erdnüsse zu kaufen und diese genüsslich zu knabbern. Ich mag es, wenn mein Gastbruder mir im Vorbeigehen ein grinsendes (wann immer er mich sieht, fängt er an zu grinsen – darf ich das noch tolerieren?!) ‚Big Nana‘ zu- und mir ein paar Orangen in den Schoß wirft. Ich mag es immerzu von Kindern umgeben zu sein. Ich mag das ‚Mäh‘ der Schafe, den Geruch der Reisfelder, das Rufen der Muezzins, die knallpinken Blumen, die vorwitzig über Compoundwände herüberschauen. Meine Klasse mag ich mehr als andere. Ich mag es bis 3 Uhr nachts quatschend neben meiner Gastschwester im Bett zu liegen bevor wir uns endlich erschöpft ein „sound sleep“ zumurmeln und einschlafen. Ich mag die großen Töpfe überm Feuer, das ununterbrochene Zierpen der Grillen, das Rauschen des Meeres, bewundere die Schönheit der Frauen in ihren bunten Freitagskleidern. Ich mag es über die Dorfstraße in Gunjur zu schlendern und jeden fröhlich zu begrüßen oder anonymer (sofern das als Weiße möglich ist) im hektischen Treiben des Markts in Brikama unterzugehen. Ich freue mich jeden Tag aufs scharf-‚reisige‘ Mittagessen und morgens auf mein Tapalapa. Ich höre gerne zu, wenn Mandinka gesprochen wird, bilde mir manchmal ein, alles verstehen zu können, so vertraut ist mir der Klang inzwischen. Ich mag es genauso sehr wie in Deutschland tanzen zu gehen. Ich mag Reggae- eh, wer hätte das von mir gedacht? Und ich liebe, liebe, liebe Buschtaxi fahren.

Und mein Vater? Wie sieht der das jetzt alles so? Als Außenstehender, der aber doch in den Compound eingetreten ist. Ein Zwischentourist? Also ein Alltags- und kein Strandtourist?
Ich bin sehr froh über den Besuch. Sein Schauen und Herausfinden, sein Knüpfen von eigenen Beziehungen zu Menschen hier. Zauber nicht mehr erklären (oder gar zerklären) zu müssen. Sondern in Manchem im Ansatz verstanden zu werden. Sehr froh bin ich, dass er es gut findet, wichtig findet, dass ich im Hier und Innendrin ein Zuhause gefunden habe. Gut und wichtig für mich selbst als auch für das Hier und innendrin.
Als mein Vater wieder geflogen ist, sagt einer der beiden Nachbarn, bei denen er untergekommen war, mit ehrlich betrübter Miene: „It’s so sad that Papa is gone“. Als ich anfange über meinen Abschied nachzugrübeln erwidert er barsch: „We mustn’t even think about this. It’s still a long time before you will leave, Nana“. Ich schenke ihm ein Lächeln und grüble im Stillen weiter.

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